StaRUG – Diskussionswelle

„Wenn ich die Menschen gefragt hätte,
was sie wollen,
hätten sie gesagt, schnellere Pferde.“
Henry Ford

Angesichts des nahenden Jahresendes und der auslaufenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (s. dazu näher hier) schien es zunächst so, als würde der Gesetzgeber alles daran setzen, die Fortentwicklung des Insolvenzrechts so schnell wie möglich in Gesetzesform zu gießen (s. zuvor schon hier). Jedoch kündigt sich mittlerweile massiver Widerstand gegen die vorgebliche Schuldnerfreundlichkeit des Verfahrens an, was bestenfalls zu Verzögerungen im Fahrplan führen kann und schlechtestenfalls in einen Rückfall in Vor-ESUG-Zeiten mündet. Nachfolgend deswegen ein Blick auf die aktuelle „Diskussionswelle“:

Nachdem das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz („BMJV“) am 19. September 2020 zunächst den Referentenentwurf des „Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetzes“ (SanInsFoG) vorgelegt hatte (s. dazu näher hier), dauerte es (nach einer extrem kurzen Frist zur Stellungnahme von Experten) weniger als einen Monat, bis die Bundesregierung am 14. Oktober 2020 ihren eigenen konsolidierten Entwurf veröffentlichte. Dieser wurde nach einer ersten Lesung im Bundestag am 18. November 2020 (hier) an den zuständigen Rechtsausschuß verwiesen. Der Ausschuss tagte am 25. November 2020 und führte eine entsprechende Expertenanhöhrung durch (s. näher hier).

Zu denken gibt einem als Sanierer zunächst einmal, dass zu dieser Anhörung im Rechtsausschuss nur Akademiker, InsolvenzverwalterInnen und ein Rechtsanwalt mit besonderer Expertise bei der „Durchsetzung von Lieferantenrechten“ geladen waren – aber keine ausgewiesenen Praktiker außergerichtlicher und operativer Sanierungen. Darüber hinaus weckt die Einbindung der Abgeordneten und Insolvenzverwalterin Judith Skudelny als Berichterstatterin für die FDP ungute Erinnerungen an die „Last-Minute-Änderungen“ des ESUG im Jahre 2011, als, wohl nicht ganz unbeeinflusst vom damaligen Berichterstatter der FDP, Herrn Christian Ahrendt (damals Insolvenzverwalter, heute Vizepräsident des Bundesrechnungshofes), die entsprechenden Regelungen noch einmal deutlich „nachgeschärft“ wurden. Und tatsächlich weist der entsprechende Antrag der liberalen (!) Bundestagsfraktion einen umfangreichen Zusatzkatalog von gerichtlichen Zustimmungserfordernissen und Beschwerdemöglichkeiten auf (s. BT-Drs. 19/20560).

Schon vor der ersten Lesung im Bundestag – nämlich am 16. November 2020 – hatten sich allerdings auch schon die Fachaussschüsse des (eigentlich nicht mal zustimmungsberechtigten) Bundesrates – neben der allgemeinen Klage über die zusätzlichen, die Landeskassen belastenden, Kosten – mit einer Reihe geharnischter Empfehlungen (BR-Drs. 619/1/20) in die Diskussion eingebracht, konkret: „Der Bundesrat bittet, […] zu prüfen, ob das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen gläubigerfreundlicher ausgestaltet und die Belange der Wirtschaft stärker berücksichtigen kann. Die Bundesregierung hat ihren Gesetzentwurf ganz überwiegend an den Interessen der […] Schuldner ausgerichtet und die Interessen der Gläubiger […] nicht angemessen berücksichtigt.“ Neben dieser Fundamentalkritik und nicht wenigen Änderungsvorschlägen fordert der Bundesrat ein verzögertes In-Kraft-Treten der Regelungen erst zum 1. Juli 2021, damit sich die Länder auf die Änderungen vorbereiten können.

Gegenüber diesen sehr harschen Forderungen aus dem legislativen Bereich nehmen sich die Kommentierungen verschiedener Interessenverbände (zumeist noch zum Referentenentwurf, s. zu vorherigen „Positionsbestimmungen“ zur EU-Richtlinie bereits hier) geradezu moderat aus (s. nur BV ESUG, hier, BRAK, hier, DAV, hier, VID, hier, Gravenbrucher Kreis, hier, NVID, hier, BDU, hier, TMA, hier, Deutschen Kreditwirtschaft, hier ; s. auch die sehr gute Zusammenfassung von Jung/ Meißner / Ruch in der KSI, hier).

Neben der mehrfach erhobenen Forderung nach einer Verschiebung des In-Kraft-Tretens der Reform zumindest bis Juli 2021, wird in der Vielzahl der Stellungnahmen die wahrgenommene zu große Schuldnerfreundlichkeit des Verfahrens kritisiert. Auch wird die im neuen Restrukturierungsverfahren vorgesehene Möglichkeit, Verträge in Rahmen des Restrukturierungsverfahrens zu kündigen, häufig abgelehnt. Schließlich wird die Gesamtregelung als zu kompliziert gerügt. Hervorzuheben ist die Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft, die eine stärkere Ausrichtung des StaRUG auf die leistungswirtschaftliche Sanierung fordert.

In einer der derzeit zahlreichen Online-Diskussionen zu dieser Thematik bezeichnete ein Teilnehmer das Gesamtwerk als „legal over-engineering“ und ging davon aus, dass die Gerichte auf Grund fehlender eigener Kompetenz den eigentlich nur im Ausnahmefall vorgesehenen Restrukturierungsbeauftragten zum Regelfall machen werden. Schon um sich haftungsrechtlich abzusichern.

So weit, so schlecht. Angesichts der Welle von kritischen Stellungnahmen zum StaRUG damit droht im schlimmsten Fall die Verabschiedung eines gegenüber dem bisherigen Schutzschirmverfahren der InsO noch restriktiveren Restrukturierungsverfahrens, während gleichzeitig die Möglichkeiten der Eigenverwaltung in der InsO erneut begrenzt werden.

Damit könnte das Restrukturierungsverfahren in der Praxis ähnlich marginalisiert werden, wie vormals das Schutzschirmverfahren, über dessen Schicksal die FDP-Fraktion in ihrem oben genannten Antrag (wohl unfreiwillig ironisch) schreibt: „So bleibt ihr [=Schutzschirmverfahren] Anteil an den Gesamtinsolvenzen mit 2,7 % sehr gering; genutzt werden sie hauptsächlich von sehr großen Unternehmen.

Keine gute Ausgangsposition für die allseits erwartete „Insolvenzwelle“.

BReg: Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts

Vergleich Ref-E / Reg-E: https://draftable.com/compare/UwqvhbEribFU (Viellen Dank an die Kollegen Martini / Horstkotte)

Vergleich Reg-E / BRat: https://draftable.com/compare/hIVpwKkIHYvu (Viellen Dank an die Kollegen Martini / Horstkotte)

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