Untreue – ein juristischer „Leckerbissen“?

Geraten Führungskräfte in den Verdacht, sich zu Lasten des Unternehmens bereichert zu haben,  wird regelmäßig eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 StGB ins Spiel gebracht. Seit zwei grundlegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus den Jahren 2010 und 2012 jedoch sind die Gerichte erheblich zögerlicher mit einer entsprechenden Verurteilung. Diese Tendenz wird exemplarisch deutlich an der kürzlich ergangenen Entscheidung des LG Hamburg, trotz der vorherigen Aufhebung der Freisprüche gegen verschiedene Banker der HSH Nordbank die Verfahren gegen Geldauflage einzustellen (hier) und an einer aktuellen Entscheidung des Berliner Kammergerichts, das drei frühere Funktionäre der Kassenärztlichen Vereinigung vom Vorwurf der Untreue freisprach (hier).

Auch vor dem Hintergrund eines eigenen Falles mithin Anlass genug, sich einmal  näher mit der Entwicklung der Rechtsprechung, dem gegenwärtigen Status und der (möglichen) Zukunft dieser Regelung zu befassen.

Zielsetzung der Regelung

Der Tatbestand der Untreue bezweckt den Schutz des Vermögens und zählt deshalb zu den Vermögensdelikten in zwei Varianten, dem Missbrauchs- und dem Treubruchtatbestand. Bei ersterem schädigt der Täter das Vermögen eines Dritten durch rechtsmissbräuchliche Ausübung seiner Verfügungs- beziehungsweise Vertretungsmacht, indem er zwar im Rahmen seines rechtlichen Könnens handelt, dabei aber das rechtliche Dürfen im Innenverhältnis überschreitet. Bei letzterem tritt die Vermögensschädigung durch Bruch eines Treueverhältnisses ein. Dabei liegen zumeist Vermögensbetreuungspflichten zugrunde, beispielsweise die eines Vermögensverwalters.

Rechtsprechungs-Praxis bis 2010

In seiner Entscheidung zum sog. „Kölner Müllskandal“  stellte der BGH im Jahre 2005 fest, dass bei Kick-back-Zahlungen die Höhe der empfangenen Bestechungsgelder regelmäßig den Mindestschaden nach § 266 I StGB beim Auftragsgeber darstellt, da davon auszugehen ist, dass der Bestechungsgeld zahlende Auftragnehmer die Kosten stets auf den Auftraggeber umlegt.

Eine der bekanntesten Entscheidungen zum Tatbestand der Untreue hat der BGH im Dezember 2005 im sog. „Mannesmann/Vodafone„-Komplex getroffen. Die zentrale Feststellung des Gerichts war, dass die Bewilligung von kompensationslosen Anerkennungsprämien eine treupflichtwidrige Schädigung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens darstellt bzw. darstellen kann.

In der sog. „Siemens-Entscheidung“ beschäftigte sich der BGH nach der sog. „CDU-Spendenaffäre“ (s. dazu näher hier) im Jahre 2008 erstmals mit schwarzen Kassen in Privatunternehmen. Dabei stellte der BGH klar, dass bereits das Verbergen von Geldern vor dem Unternehmen bzw. der Buchhaltung in schwarzen Kassen einen endgültigen Vermögensschaden darstellt, da die Dispositionsbefugnis zum Kernbereich des Vermögens gehöre. Auch sollen durch Bestechungszahlungen aus den Kassen erlangte Aufträge den Schaden nicht entfallen lassen.

Die Entscheidungen des BVerfG aus den Jahren 2010 und 2012

In seinem – u.a. die Entscheidung des BGH in im zuvor geschilderten Fall Siemens aufrechterhaltenden – Beschluss vom 23. Juni 2010 hat das BVerfG keinen grundsätzlichen Verstoß des Untreuetatbestandes gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 II GG angenommen und festgestellt, dass anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen noch eine hinreichend konkrete Auslegung der Norm möglich sei. Jedoch sei es den Gerichten geboten, Unklarheiten soweit wie möglich auszuräumen (Präzisierungsgebot).

Diesem Tenor sind die Fachgerichte aus Sicht des BVerfG zunächst in der Folge anscheinend nicht ausreichend nachgekommen, denn in der nächsten Entscheidung wurde der Ton deutlich schärfer. So forderte das BVerfG in seinem Beschluss vom 1. November 2012, dass der Vermögensnachteil auch im Rahmen der anerkannten Fallgruppe des „subjektiven“ bzw. „individuellen Schadenseinschlags“ bezifferbar sein müsse. Insbesondere sei erforderlich, etwaige Kompensationsleistungen – in dem Fall die Möglichkeit, den gewährten Kreditbetrag für die vereinbarte Laufzeit zu nutzen – bei der Anwendung des Tatbestandes zu berücksichtigen. Dementsprechend sollen pauschale Feststellungen  nicht mehr für eine Verurteilung ausreichen. Ebenfalls sehr kritische Anmerkungen finden sich zur „Verschleifung“ des Tatbestandsmerkmals der Pflichtverletzung mit der des Vermögensnachteils. So darf nach Ansicht des BVerfG nicht aufgrund einer Pflichtverletzung automatisch ein Vermögensnachteil angenommen werden, ohne dass hierzu weitere vertiefte Ausführungen gemacht werden.

Aktuelle Anwendungspraxis

Den Restriktionen des BVerfG entsprechend legte der BGH den Tatbestand der Untreue in nachfolgenden Entscheidungen wesentlich enger aus, was z. B. zu Freisprüchen im sog. „Berliner Bankenskandal“ (mehr dazu hier) führte. In diesem Fall entschied der BGH im Mai 2013, dass bei risikobehafteten unternehmerischen Entscheidungen an die Feststellung des subjektiven Tatbestandes erhöhte Anforderungen zu stellen seien, da die Möglichkeit einer Vermögensgefährdung dem Risikogeschäft inhärent sei. Auch könne das Einverständnis des Gesellschafters mit dem Risikogeschäft die Untreue ausschließen, wenn dieses Einverständnis selber nicht einen existenzgefährdenden Eingriff in das Unternehmen darstelle.

Im sog. „Nürburgring„-Urteil aus dem Jahre 2015 äußert sich der BGH zum Tatbestandsmerkmal des „Vermögensnachteils“ dann zusammenfassend wie folgt:

„Der Vermögensnachteil als Taterfolg der Untreue ist durch einen Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach der beanstandeten Verfügung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Ein Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB kann als sog. Gefährdungsschaden auch darin liegen, dass das Vermögen des Opfers aufgrund der bereits durch die Tathandlung begründeten Gefahr des späteren endgültigen Vermögensabflusses in einem Maße konkret beeinträchtigt wird, das bereits zu diesem Zeitpunkt eine faktische Vermögensminderung begründet. Da es sich bei der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens nicht um eine richterrechtlich geschaffene besondere Kategorie von Gefährdungsdelikten handelt, sondern auch in diesem Fall die Vermögensminderung tatsächlich eingetreten sein muss, reicht es nicht aus, lediglich die bloße (konkrete) Gefährdung des Vermögens festzustellen. Dies birgt je nach den Umständen des Einzelfalles die Gefahr einer Verschleifung der Tatbestandsmerkmale der Pflichtwidrigkeit und des Vermögensschadens; ebenso ist ein solches Vorgehen aufgrund einer undifferenzierten Gleichsetzung von zukünftiger Verlustgefahr und gegenwärtigem Schaden geeignet, die gesetzgeberische Entscheidung, den Versuch der Untreue nicht unter Strafe zu stellen, zu unterlaufen. Daher dürfen die Verlustwahrscheinlichkeiten auch nicht so diffus sein oder sich in so niedrigen Bereichen bewegen, dass der Eintritt eines realen Schadens letztlich nicht belegbar bleibt. Der Vermögensnachteil ist daher eigenständig zu ermitteln und anhand üblicher Maßstäbe des Wirtschaftslebens zu konkretisieren. Voraussetzung ist dabei, dass unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls der Eintritt eines Schadens so naheliegend erscheint, dass der Vermögenswert aufgrund der Verlustgefahr bereits gemindert ist. Unter diesen Voraussetzungen kann auch bereits in dem Abschluss wirtschaftlich nachteiliger Verträge eine vermögensnachteilsgleiche Vermögensgefährdung liegen, wobei deren Annahme die rechtliche Wirksamkeit der eingegangenen Verpflichtung – insbesondere aufgrund des mit der Schaffung der Urkundslage verbundenen erhöhten Prozessrisikos – nicht zwingend voraussetzt.“

(Rz. 62)

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes wurde eine Strafbarkeit der entsprechenden Organe der Nürburgring GmbH verneint.

Demgegenüber hob der BGH in seiner Entscheidung im Fall der „HSH-Nordbank“ im Jahre 2016 die Freisprüche des LG Hamburg für verschiedene Mitglieder des Bankhauses vom Vorwurf der Untreue auf. Dabei konstatierte er, dass die in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kodifizierte sog. „Business-Judgement-Rule“  den Rahmen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit auch in strafrechtlicher Hinsicht definiere. Die Einhaltung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG schließe eine gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung und damit auch eine Pflichtverletzung nach § 266 Abs. 1 StGB aus. Umgekehrt begründe die Überschreitung der Grenzen des § 93 Abs. 1 S.2 AktG allein noch keine (strafrechtlich zu würdigende) Pflichtverletzung. Im Fall wurde das Nicht-Beachten der Grenzen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit aber als Indiz für das Vorliegen auch einer strafrechtlich zu würdigenden Untreue gewertet.

Fazit

In der Praxis ist seit den restriktiven Urteilen des BVerfG eine Verurteilung wegen Untreue allgemein wesentlich schwerer zu erreichen, was sich in einer abnehmenden Anzahl der erfassten Fälle (s. Grafik bei Wikipedia hier) genau so zeigt, wie an dem eingangs genannten Freispruch des KG Berlin und der Einstellungsverfügung des LG Hamburg in den jeweiligen Untreueverfahren. Dementsprechend agieren auch die Strafverfolgungsbehörden bereits bei der Bejahung eines Anfangsverdachts eher zurückhaltend.

Möglicherweise resultiert ein Großteil der Motivation der Politik zur Schaffung einer „Verbandsstrafbarkeit“ (also einer Strafbarkeit von Unternehmen anstelle von individuellen Personen, s. näher dazu hier) aus dem  (tatsächlich oder mutmaßlich) daraus resultierenden Vollzugsdefizit. Denn angesichts immer neuer Skandale seit Ausbruch der letzten Finanzkrise im Jahre 2007/2008 ist die Zahl der strafrechtlichen Sanktionierung in diesem Bereich eher überschaubar geblieben. Die Frage ist, warum der Gesetzgeber nicht statt der Schaffung eines neuen Strafrechts den Versuch der Untreue unter Strafe stellt – denn in diesem Fall würde die bisherige Diskussion über die Frage der „Verschleifung“ des Tatbestandsmerkmals der Pflichtverletzung mit der des Vermögensnachteils gegenstandslos. In der aktuellen Fassung mitsamt der Auslegung durch die höchsten deutschen Gerichte ist der Untreuetatbestand für Juristen mit Sicherheit ein intellektueller „Leckerbissen“, für den Rechtsfrieden dürfte die fehlende Sanktionierung der Exzesse der letzten Finanzkrise aber eher nur schwer verdaulich sein.

BVerfG, Beschl. v. 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08
BVerfG, Beschl. v.  1. 11. 2012 –  2 BvR 1235/11

BGH, Urt. v. 2.12. 2005 – 5 StR 119/05 („Kölner Müllskandal“)
BGH, Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04 („Mannesmann/Vodafone“)
BGH, Urt. v. 29.8.2008 – 2 StR 587/07 („Siemens“)
BGH, Urt. v. 28.5.2013 – 5 StR 551/11 („Berliner Bankenskandal“)
BGH, Urt. v. 26.11.2015 – 3 StR 17/15 („Nürburgring“)
BGH, Urt. v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15 („HSH Nordbank“)

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