Unternehmensinsolvenzen Oktober 2023 – es sind auch die Liquidationen, stupid!

Destatis meldet für September 2023 einen Anstieg der Anträge für Regelinsolvenzverfahren um weitere 19,5%, aber auch einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen für Juli 2023 um mehr als 37% (jeweils im Vergleich zum Vorjahr), während der IWH-Insolvenztrend zwar ein gleichbleibendes Niveau der Unternehmensinsolvenzen im Monatsvergleich für September meldet, allerdings auch einen Anstieg um 33% im Vorjahresvergleich.

Damit sind die Insolvenzzahlen nicht nur das vierte Mal in Folge gestiegen, was schon ein statistischer Ausreißer ist (s. hier), sondern auch in sieben von neun Monaten des bisherigen Jahresverlaufs. Aber auch die Zahl der Geschäftsaufgaben ohne Insolvenz steigt an. Zwar führt Destatis seit Jahren nur die „Gewerbeaufgaben größerer Betriebe“, aber auch hier ist im ersten Halbjahr ein Anstieg von 12,4% im Vorjahresvergleich zu verzeichnen. Das ifm Bonn führt zur Lage der der Geschäftsaufgaben hier dazu prägnant aus:

Im 1. Halbjahr 2023 wurden knapp 35.000 Betriebe mit größerer wirtschaftlicher Bedeutung geschlossen. Das sind rund 10% mehr Schließungen als im Vorjahr. Allerdings wird das Niveau der Vorpandemie-Jahre noch leicht unterschritten. Der gewerbliche Gründungssaldo bei Betrieben von Hauptniederlassungen (Differenz aus Gründungen und Liquidationen) ist daher im 1. Halbjahr 2023 abermals positiv. Der Bestand an solchen Unternehmen wächst somit in Deutschland.

Sprich, die Insolvenz ist nicht einmal für die Hälfte der Geschäftsaufgaben bei Unternehmen verantwortlich – der überwiegende Teil wird „still“ abgewickelt. 

Aktuelle Fälle

Einen wie immer guten Überblick über die aktuelle Fall-Lage bringen Juve (hier) und das Finance-Magazin (hier). DER Fall des Monats war natürlich die Insolvenz der vormals von der Metro-Gruppe gehaltenen Real Märkte (hier). Dass gerade der Mode-Einzelhandel in den letzten Jahren „unter die Räder“ gekommen ist zeigt die ganz gute Übersicht hier. Beim Bau steht derweil der „Fürst“ auf der Kippe: Zunächst kam die Meldung, dass der Projektentwickler für das Projekt „Fürst“ (für „Kurfürstendamm), einer Tochter der Adler-Gruppe, über die Klinge gesprungen sei (hier) – dann hat die HUK Coburg den Insolvenzantrag zurückgenommen (hier) und jetzt scheint gar eine Finanzierung von Euro 150 Mio. gesichert zu sein (hier). Also mal schaun, ob und wann die Arbeiten auf der Baustelle wieder aufgenommen werden.  Angesichts der neuesten Krisen-Meldungen aus der Solarbranche (hier) kann man eigentlich nur ausrufen – „nicht schon wieder“.

Derweil gibt der bekannte deutsche Restrukturierer Tammo Andersch „den Droege“ (hier). Hoffen wir, dass er mehr Glück hat, als RA Tischendorf mit seinem Investment bei Real.

Blick ins Ausland

In England und Wales hat die Zahl der Insolvenzanträge alleine im August 2023 um 33% gegenüber dem Vormonat und um 19% im Vergleich zum Vorjahresmonat zugenommen (hier). Aber auch in den USA geht es ungebremst weiter – so stiegen die Bankruptcy Filings über alle Verfahrensarten hinweg im September 2023 über 12% im Vergleich zum Vorjahr (hier), wobei sich 64% dieser Anträge auf die Sektoren Health Care, Consumer und Industry konzentriert (hier). Prominentester Fall ist die Apotheken- und Drogeriekette Rite Aid, die versucht, über ein Chapter 11 Filing den Schadenersatzklagen nach dem Opioid-Skandal zu entkommen (hier und hier).

Prognosen anderer

Mittlerweile ist die Roland Berger-Restrukturierungsstudie veröffentlicht (hier) – und zeigt sich als nicht gerade erquickliche Lektüre. Wie auch andere Akteure (s. nur Atreus hier), gibt Roland Berger den volkswirtschaftlichen Betrachtungen einen großen Raum und moniert (höflicht) fehlende politische Weichenstellungen. Zwar wehrte sich Wirtschaftsminister Habeck kürzlich gegen entsprechend schlechte Presse seitens des Economist (hier), aber die Erwiderungen von Thomas Mayer (hier, s. aber auch hier) zeigen deutlich die Argumentationsdefizite der aktuellen Politik auf.

Fazit: Zwar liegen die absoluten Zahlen der Unternehmensinsolvenzen noch unterhalb der Vor-Corona-Zahlen und erst Recht unterhalb des z.B. von Destatis als Referenz verwendeten Jahres 2015 (s. Grafik bei den Angaben oben). Sieht man sich aber die relativen – mittlerweile stets zweistelligen – Zuwachszahlen und berücksichtigt die weitere Erläuterung des IWH, dass damit „Die Zahl der Insolvenzen 12% über dem September-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie, [lag]„, dann wird deutlich, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis die Vor-Corona-Zahlen wieder erreicht oder gar überschritten werden. Wie auch die Grafik des ifm Bonn hier verdeutlicht, wurde 2022 nicht nur die Trendwende bei den Unternehmensinsolvenzen eingeleitet, sie zeigt auch, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen pro Tausend im Jahre 2021 mit 4,6 einen absoluten Tiefststand erreicht hat – im Jahre 2015 waren es noch 7,1 auf Tausend.

Auf Grund der negativen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland (aktuell hier), insbesondere im Bausektor (hier) der zwar sinkenden, aber weiterhin hohen Inflation (hier), der sich scheinbar verschärfenden Kreditklemme (hier) wäre ein Rückgang der Unternehmensinsolvenzen eher verwunderlich. Wie steil und lang der zu erwartende weitere Anstieg aber tatsächlich sein wird, dürfte auch von der Reaktion der Bundesregierung abhängen, die sich derzeit ja noch in Schönfärberei hüllt, obwohl die Fachleute (Roland Berger, etc.) genau davor warnen. Allerdings ist die deutsche Politik ja mittlerweile auch sehr schnell mit Stützungsmaßnahmen bei der Hand, wenn die Panik nach zu spätem Erkennen der Dimension einer Krise erst einsetzt. So würde ich eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach SanInsKG nicht ausschließen, sollte sich alleine der deutsche Trend ungebremst fortsetzen. Ob das jedoch hilft, die deutsche Wirtschaft zu gesunden, steht auf einem anderen Blatt.

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