Aus COVInsAG wird SanInsKG – sonst ändert sich nix?

Die Bundesregierung reagiert auf die sich verschärfende Wirtschaftskrise (zur aktuellen Wirtschaftslage s. hier) und „modelliert“ – möglicherweise aus Furcht vor der bislang noch nicht gesichteten Insolvenzwelle (s. zur aktuellen Entwicklung der Insolvenzzahlen hier) – das bisherige „COVinsAG“ (s. dazu näher hier) zum „Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG)“ um. Nachfolgend ein kurzer erster Überblick über den Inhalt der geplanten Regelung, den derzeitigen Stand des Gesetzgebungsverfahrens sowie die ersten Kommentierungen.

Hintergrund

Der – auf ein Gesetzesvorhaben zur Reform des Familienrechts „aufgesattelte“ – Entwurf des SanInsKG dient der Umsetzung des am 3. September 2022 von der Bundesregierung verkündeten „3. Entlastungspaket zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen“ (näheres hier). Demnach sollten „auch Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind, ihre Geschäftsmodelle anpassen können. Daher wird für Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht gesorgt.

Der eigentliche Anstoß für die jetzt geplante Regelung scheint jedoch schon weit vor dem Beschluss der Bundesregierung von der TMA Deutschland gekommen zu sein („Die Bundesregierung kommt damit einer Forderung der Gesellschaft für Restrukturierung (Turnaround Management Association, TMA) nach. Mehrere TMA-Vorstandsmitglieder hatten sich schon vor einigen Monaten an Justizminister Buschmann gewandt und vorgeschlagen, die Fortführungsprognose zu verkürzen – allerdings sogar bis auf drei Monate.“, Meldung Handelsblatt hier, s. dazu undatiertes Schreiben TMA Deutschland, hier).

Regelungsinhalt

Kern der Regelung ist die Verkürzung des Prognosezeitraums des § 19 Abs. 2 S. 1 InsO  (und der Planungszeiträume für Finanzpläne in einem Eigenverwaltungsverfahren (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO) und in einem Restrukturierungsverfahren (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) von zwölf (bzw. 6 Monaten) auf einheitlich vier Monate in § 4 SanInsKG. Daneben wird durch den neu eingefügten § 4a SanInsKG die Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung von sechs auf acht Wochen verlängert. Die Neuregelung soll am Tag nach der Verkündung in Kraft treten und bis zum 31. Dezember 2023 gelten. 

Weitergehende Forderungen

In der letzten Woche lieferte die SPD dann noch weitere Schlagzeilen, indem sie medial die Forderung nach einer begrenzten Aussetzung der gesamten) Insolvenzantragspflicht, also auch bezogen auf die Zahlungsunfähigkeit, solange „die Hilfsprogramme noch nicht abrufbar sind.“ (hier)

Stellungnahmen Verbände

Zahlreiche Verbände haben trotz der kurzfristigen Terminierung (Schreiben BMJV vom 16.09., Frist bis zum 21.09.22) Stellung zur geplanten Reform genommen (s. Nachweise unten).

Zunächst ist die Feststellung des VID, dass der Entwurf keine Definition der Krise enthalte, an die die mit dem Entwurf geplanten Folgen anknüpfen sollen, so lapidar, wie brisant. Der Entwurf selber verzichte darauf, „(…) den Anwendungsbereich der Vorschrift an eine entsprechende Voraussetzung zu binden, insbesondere ein Kausalitätserfordernis einzuführen, das die Prognoseunsicherheiten auf die Entwicklungen an den Energiemärkten rückbezieht.“, da von den derzeitigen Verhältnissen mehr oder weniger alle Wirtschaftsteilnehmer zumindest mittelbar betroffen seien. 

Eigene Bewertung

Die Neubezeichnung des COVInsAG als SanInsKG suggeriert, dass die Politik die Notwendigkeit eines sog. „Schlechtwetterinsolvenzrechts“ erkannt hat (s. dazu nur Paulus, „Gutwetter-Insolvenzrecht und Schlechtwetter-Insolvenzrecht: Über die ökonomischen Grundbedingungen des Insolvenzrechts“, ZIP 2016, S. 1657 ff.). Allerdings ist aus dem überstürzten Gesetzgebungsverfahren dann doch eher die Angst der Regierenden vor einer Insolvenzwelle (s. dazu erneut hier) abzulesen. Sprich, der Name alleine macht noch kein neues Regime.

Auch dürfte die praktische Relevanz der geplanten Regelung auf das deutsche Insolvenzgeschehen eher überschaubar bleiben – beruht doch traditionell nur eine geringe Zahl der Insolvenzanträge überhaupt auf der Überschuldung (2021: 162 von 13.993 Insolvenzanträgen, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, 12/2021, Tabelle 10, hier). Von daher dürfte der Aktionismus eher als politisches Signal zu verstehen sein. Bedenklich – und das ist aus den verschiedenen Stellungnahmen abzulesen – wird das Vorhaben aber dann, wenn die Lockerungen bei der Antragspflicht auch auf die Zahlungsunfähigkeit ausgedehnt werden sollte, was scheinbar Teile der SPD propagieren. Wenn überhaupt, dann würde eine derartige weitere Lockerung nur dann funktionieren, wenn sie – wie bei Corona – mit entsprechenden Liquiditätshilfen für die Unternehmen flankiert würde. Der SPD-Vorstoß hat denn auch erklärtermaßen zum Ziel die Zeit bis zum Wirksamwerden von Liquiditätshilfen zu überbrücken.

Zum einen ist aber die Frage, ob die hektisch agierende Politik überhaupt noch so viel Fokussierung aufbringen wird, liquiditätswirksame Mittel in der erforderlichen Höhe, Treffgenauigkeit und Zeitspanne zu verabschieden, bevor die Insolvenzwelle auf die deutsche Wirtschaft trifft. Verpasst die Politik dieses Zeitfenster, wird die Volkswirtschaft zusätzlich durch Unternehmen belastet, die im Zustand der Zahlungsunfähigkeit agieren.

Schließlich wird selbst eine mit Liquiditätshilfen beschränkte Erleichterung der Insolvenzantragsfrist durch das SanInsKG in der jetzigen Form der zunehmenden Zombifizierung der deutschen Wirtschaft Vorschub leisten. So ist der Anteil der Zombieunternehmen auch bei deutschen Unternehmen bereits in Corona-Zeiten stark angestiegen (s. dazu aktuelle Studie von A.T. Kearny, Grafik S. 8, abrufbar hier). Einen nicht unwesentlichen Anteil an diesem Wachstum dürfte die „Bazooka“ des damaligen Finanzministers Scholz haben (s. dazu hier). Die Zurückhaltung bei Finanzhilfen, zu Beginn dieser Krise („Stoßdämpfer“ und „Schutzschilde“ statt „Bazooka“, hier) hat die Politik erkennbar wieder abgelegt. Damit aber dürften sich die Zombiefizierungstendenzen in der deutschen Wirtschaft wieder verstärken, der Prozess der Schumpeter’schen „kreativen Zerstörung“ wird erneut verschoben. Dauerhaft keine gute Wahl für Deutschland. 

Schreiben BMJ v. 16.09.2022 (Verbändebeteiligung)
Formulierungshilfe der Bundesregierung (Gesetzestext)

NIVD-Stellungnahme
VID-Stellungnahme
Gravenbrucher Kreis
BRAK-Stellungnahme
IDW-Stellungnahme
DAV – ARGE Insolvenzrecht & Sanierung

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