Unternehmensinsolvenzen Oktober 2022 – Kaffeesatz lesen für Fortgeschrittene

Der DAX strebt wieder auf 13.000 Punkte zu (hier) und nach Destatis brechen die Insolvenzen geradezu ein (gleich unten). Also – anders als im letzten Monat angedeutet (hier) doch keine Insolvenzwelle und Panik auf der Titanic? Vielleicht schon, je nachdem, wie man die aktuellen Insolvenzzahlen auslegt,  was ja schon im August (hier) nicht so einfach war.

Während nämlich der IWH-Insolvenztrend für den September 2022 einen Anstieg der Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften um 34% (!) gegenüber dem Vorjahresmonat vermeldet (hier) und damit seine eigene (von mir kritisch beurteilte) Prognose vom Vormonat noch deutlich übertrifft, folgt Destatis meiner Prognose aus dem Vormonat: Für mich wenig überraschend sank die Zahl der (eröffneten) Insolvenzverfahren im Juli 2022 um -3,8% im Vergleich zum Vorjahr (hier). Diese Entwicklung folgt damit dem seit Jahren zu beobachtenden Trend, der grafisch einem Sägezahnmuster ähnelt und in meinen Augen auf statistischen Besonderheiten beruht (meine Kommentierung dazu hier). Überraschend ist jedoch, dass auch die Zahl der Anträge auf Eröffnung eines Regelinsolvenzverfahrens (in denen auch die Anträge für Unternehmen enthalten sind) im September 2022 um sagenhafte -20,6% gegenüber dem Vormonat zurückgingen. Die Diskrepanz zwischen dem IWH-Insolvenztrend und Destatis für den September beträgt auf den ersten Blick über 50%. Das wäre gigantisch. Allerdings muss man beachten, dass der IWH-Insolvenztrend seine Zahlen in Relation zum Vorjahr setzt, während Destatis diese Zahlen in Relation zum Vormonat setzt. Dennoch zeigt auch die von Destatis generierte Grafik eher wieder eine Trendwende an – nach unten.

Aktuelle Fälle

Diese mögliche Trendumkehr verwundert angesichts der zahlreichen Krisen- und Insolvenzmeldungen aus der deutschen Industrie: Im – bereits lange Zeit als Problemsektor identifizierten – Automotive-Bereich scheint nämlich der Herbst tatsächlich schon „heiß“ zu werden. Nicht nur ist Borges insolvent (hier), auch die andauernden Führungsprobleme bei Knorr (hier) deuten auf einen weiteren Krisenfall in dieser Branche hin.

Aber vielleicht gehen die Unternehmensinsolvenzen ja zurück, weil Unternehmenssanierungen einen Lauf haben? So ist die Sanierung von Cordenka gelungen (hier), genauso wie die von Schur Flexibels in Österreich (hier). Der Schuhhändler Reno konnte zumindest verkauf werden (hier). Derweil droht bei Galeria Karstadt Kaufhof möglicherweise ein „Chapter 33“ (hier). Ob das dann wie bei Kettler ausgeht (hier)? Und ob man die staatliche Führungsübernahme mit insolvenzrechtlich versiertem Personal bei ausländischen Energieversorgern, wie bei Fortum (hier) oder den Rosneft-Töchtern (hier) bereits als „Rettung“ werten will, überlasse ich dem geneigten Leser.

Prognosen

Die „üblichen Portale“ weisen ebenfalls eine steigende Aktivität im Krisenbereich hin (Juve hier, Finance hier). Die daraus resultierende wenig verwunderliche Krisenstimmung spiegelt sich in den entsprechenden Umfragen wieder, so bei Roland Berger (hier) oder auch den Familienunternehmern (hier).  Die nunmehr veröffentlichte Studie von Kearny zu „Unternehmens-Zombies“ verheißt denn auch nichts Gutes (hier, hier und hier). Wohl nicht nur auf Grund der Erwartung der Ratingagenturen dass es zukünftig vermehrt zu Kreditausfällen kommen wird (hier), erwarten Branchenexperten auch eine Belebung des Distressed-M&A Marktes (hier). Angesichts dessen, dass die Kredithürde laut Kfw auf ein Rekordhoch gesprungen ist (hier) eine mittlerweile wohl recht sichere Prognose. Ich selber finde seit einiger Zeit schon ein anderes Krisensignal auf meinem eigenen Schreibtisch wieder, nämlich Fälle mit kriminellem Hintergrund. Da bin ich aber wohl nicht allein, wie die Fälle von Onecoin (hier), Wee (hier) oder ganz aktuell der mögliche Korruptionsskandal bei Biotronik (hier) zeigen. Auch hier gehe ich von einem Anstieg in nächster Zeit aus.

Der Blick ins Ausland verrät, dass bei den üblichen Verdächtigen die Insolvenzwelle weiterhin durchs jeweilige Land rauscht: So nahm die Zahl der Unternehmenskonkurse in der Schweiz in den ersten neun Monaten um 23% im Vergleich zum Vorjahr zu (hier und hier), in Österreich im selben Zeitraum gar um 92% (hier)! Da nimmt sich der Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in England und Wales um „nur“ 16% im September im Vergleich zum Vorjahr geradezu „kümmerlich“ aus – zumal die entsprechenden Insolvenzen im Monatsvergleich sogar um über -13% zurückgingen (hier).

Fazit: Nicht nur vor dem Hintergrund der oben zitierten Umfragen und Fälle scheint eine Rezession in Deutschland unausweichlich (mittlerweile erklären uns The Pioneer (hier) und die NZZ (hier), wieso eine Rezession sogar gut sei, frei nach dem Motto:  „Wie ich lernte, die Rezession zu lieben…“), die De-Industrialisierung und damit der Abstieg Deutschlands nicht ausgeschlossen (hier und hier). Und dann SINKT die Zahl der Regelinsolvenzen im Monatsvergleich um 20%? Da im Vorjahresmonat die Tendenz eine andere war (hier), lässt sich daraus keine Erklärung ableiten. Könnte die Ankündigung der Entschärfung der Insolvenzantragspflicht durch die Ampel-Koalition Anfang September (hier) bereits solche Auswirkungen gehabt haben? Das wäre natürlich der Hammer und brandgefährlich. Derzeit ist diese Einschätzung aber nur eine bessere Kaffeesatz-Leserei. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich hieraus ein Trend ablesen lässt.

Angesichts der nicht auszuschließenden Gas- und Stromknappheit im kommenden Winter (s. nur hier) sollte einem allerdings der aktuelle Fall des Küchenherstellers zu denken geben, der nach Datenverlust auf Grund eines Stromausfalls in die Insolvenz rutschte (hier). Noch mag das ein Einzelfall gewesen sein, bei einem Blackout dürfte es nicht bei einem oder wenigen Fällen bleiben. Das dürfte statistisch relevant werden – egal, was die Bundesregierung dekretiert.

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