SanInsFoG – Insolvenzgründe & Co, was hat sich geändert?

Nun ist es amtlich – das SanInsFoG ist (zumindest in maßgeblichen Teilen) am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Und bereits jetzt steht die erste Reform vor der Tür: die pandemiebedingte weitere Verlängerung des „COVInsAG“ (s. dazu näher hier). Nachdem sich der Rauch der Grabenkämpfe um die Gestaltung dieser nächsten „Jahrhundertreform“, die nach einem Jahrzehnt Diskussion endlich so etwas, wie ein „vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren“ gebar, verzogen hat, werde ich mich, wie schon zum Jahresende angekündigt (hier), vertieft mit spezifischen Aspekten dieses Reformwerks auseinandersetzen.

Aktuell dürften  die zum Teil neu geregelten Insolvenzgründe, die Antragspflicht und die Folgen der verzögerten oder unterlassenen Antragstellung praxisrelevanter sein, als die Regelungen des StaRUG, weswegen ich mich zunächst mit diesen beschäftige.

Ein in meinen Augen bislang wenig beachteter Aspekt der Reform betrifft die nunmehr erfolgte relativ enge Eingrenzung der Prognosezeiträume für die Zahlungsfähigkeitsprognose des neuen § 18 InsO und die Fortbestehensprognose des § 19 InsO (s. dazu auch schon hier). So legt der neu eingefügte § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO fest, dass „in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen“ ist. Demgegenüber bestimmt der neu formulierte § 19 Abs. 2 Satz 1 nunmehr als Zeitfenster für die Fortbestehensprognose die „nächsten zwölf Monaten“. Damit verkürzt der Gesetzgeber die von den Gerichten teils exzessiv ausgelegten Prognosezeiträume und schafft gleichzeitig endlich wieder eine klare (zeitliche) Abgrenzung zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Das Insolvenzrecht wird damit wieder rechtssicherer nund für die Praxis handhabbarer, was uneingeschränkt zu begrüßen ist. Solange die Regelungen des COVInsAG Geltung beanspruchen, ist allerdings zu beachten, dass nach § 4 COVInsAG der Prognosezeitraum nur vier Monate beträgt, wenn die Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. Dazu stellt die Regelung auch entsprechende Vermutungsregelungen auf (keine Überschuldung am 31.12.2019, positives Ergebnis aus dem letzten Geschäftsjahr vor dem 1. Januar 2020 und Umsatzeinbruch im operativen Geschäft um mehr als 30%).

Der Gesetzgeber hat in § 1 StaRUG flankierend zu diesen Prognosezeiträumen (und den daraus resultierenden Fristen) eine allgemeine Pflicht zur Vorhaltung von Krisenfrüherkennungssystemen in Unternehmen konstituiert. Zwar wird sich noch herauskristallisieren müssen, ob daraus eine allgemeine Unternehmensplanungspflicht folgt, allerdings leiten erste Autoren aus dem Zusammenspiel von § 1 StaRUG und § 18 InsO zumindest die Verpflichtung ab, eine rollierende 24-monatige Liquiditätsplanung im Unternehmen zu betreiben. 

Die ursprünglich im RegE des StaRUG vorgesehenen §§ 2 und 3 hatten noch einen Wechsel der Geschäftsleiterpflichten weg von der Wahrung der Gesellschaftsinteressen hin zur Wahrung von Gläubigerinteressen mit dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit vorgesehen (sog. „shift of fiduciariy duties„). Diese Pflichten- und Haftungsregeln sind jedoch im Gesetzgebungsverfahren ersatzlos gestrichen worden, auch weil man zu hohe Haftungsrisiken für die Geschäftsleiter befürchtete. Die spätere BGH-Rechtsprechung wird allerdings zeigen, ob sich aus den in § 1 StaRUG etablierten Pflichten nicht doch entsprechende Verpflichtungen der Geschäftsleitung ableiten lassen.

Bei Eintritt der Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO oder der Überschuldung nach § 19 InsO verbleibt es grundsätzlich bei der Pflicht zur Insolvenzantragstellung. Allerdings hat der Gesetzgeber die Reform genutzt, um auch die entsprechende Regelung des § 15a InsO zu modifizieren. Grundsätzlich ist – soweit diese Pflicht nicht nach dem COVInsAG ausgesetzte ist (s. dazu erneut hier) – der Antrag nach Eintritt der vorgenannten Insolvenzgründe immer noch „ohne schuldhaftes Zögern“ zu stellen. Während die Höchstfrist bei Zahlungsunfähigkeit bei drei Wochen verbleibt, ist sie für die Überschuldung auf sechs Wochen verlängert worden. 

Mit der Einführung des neuen § 15b InsO hat der Gesetzgeber schließlich die bislang über die entsprechenden Gesetze zu den verschiedenen Gesellschaftsformen verteilten Rechtsfolgenregelungen zur Haftung der Geschäftsleiter bei ungerechtfertigten Auszahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife rechtsformübergreifend zusammengeführt und die jeweiligen spezialgesetzlichen Regelungen gestrichen. Dies führt z.B. zum ersatzlosen Wegfall des bisherigen § 64 GmbHG. Grundsätzlich gilt, wie bisher auch, nach § 15b Abs. 1 InsO eine Auszahlungssperre nach Eintritt der Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. In den weiteren Absätzen dieser Norm hat es der Gesetzgeber aber nicht bei der schlichten Übernahme gefestigter Rechtsprechung belassen, sondern auch zum Teil eigene Akzente gesetzt. In Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung des BGH konstituiert § 15b Abs. 2 InsO so nunmehr explizit, dass das Auszahlungsverbot nicht für solche Zahlungen gilt, „die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, gelten vorbehaltlich des Absatzes 3 als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.“ Haftungsrechtlich privilegiert sind allerdings nur solche Zahlungen, die innerhalb der Frist zur Antragstellung erfolgen und nur insoweit und solange, wie die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben. Daneben sind auch Zahlungen nach Stellung des Insolvenzantrags bis zur Insolvenzeröffnung, die mit Zustimmung des (schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgen, privilegiert.

Nach Ablauf der Antragsfrist gelten Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, vgl. § 15b Abs. 3 InsO. Damit bricht der Gesetzgeber möglicherweise mit der bis dahin von der Rechtsprechung anerkannten Privilegierung von Zahlungen an Sozialversicherungsträger oder Finanzbehörden. Allerdings sieht § 15b Abs. 8 InsO auch vor, dass bei rechtzeitiger Antragstellung keine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten gegeben ist, wenn in diesem Zeitraum Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden.

Schließlich versucht der Gesetzgeber durch die Regelung des § 15b Abs. 4 InsO, den Umfang der Haftung für masseschädliche Zahlungen zu begrenzen. Demnach haften die Geschäftsleiter nur noch in Höhe des der Gläubigerschaft entstandenen Schadens, wenn dem Geschäftsleiter der Nachweis gelingt, dass der tatsächliche Schaden geringer ist, als die Gesamthöhe der geleisteten Zahlungen.

Fazit: Mit der Einführung einer generellen Pflicht zur Krisenfrüherkennung, der komplementär dazu nunmehr erfolgten scharfen Abgrenzung zu den Prognosezeiträumen der §§ 17 und 19 InsO, der vorsichtigen Ausdehnung der Antragspflicht im Falle der Überschuldung und einer (auf den ersten Blick stimmig erscheinenden) Zusammenfassung der bisherigen gesetzlichen Regelungen und Rechtsprechungsregeln zur Haftung im Falle der Zahlungen nach Insolvenzreife hat der Gesetzgeber einen stimmigen Kanon von sich je nach Krisenstadium verschärfenden Pflichten geschaffen. Zu beglückwünschen ist er zur Streichung des im StaRUG ursprünglich erhaltenen frühzeitigen „shift of fidiuciary duties“, schon weil dieses Konstrukt das Tor zu unendlichen Haftungsrisiken ohne Not aufgestoßen hätte. Nun ist es an der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats mit diesen Vorgaben verantwortlich umzugehen und nicht erneut Haftungsszenarien auszuweiten.

Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BGBl, 2020, 3256

RegE eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (mit ausführlicher Begründung des Gesetzesvorhabens)

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