„Sanierungen“ – haben wir noch den richtigen Fokus?

„Es geht nicht nur darum, dass man die richtigen Dinge tut,
sondern man muss die Dinge auch richtig tun.“

Peter Drucker

Das deutsche Insolvenzrecht ist seit Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Dauerbaustelle. An dieser Binsenweisheit wird sich auch nach dem In-Kraft-Treten des SanInsFoG zu Beginn des Jahres 2021 (s. dazu hier) nichts ändern, wie die Bestrebungen der EU-Kommission zu einer Harmonisierung der nationalen Insolvenzregime zeigt (hier). Und genau diese EU-Bestrebungen dürften Deutschland im Zweifel eher zu einem Perspektivwechsel gezwungen haben, als die bisherigen rein nationalen Reformen. Denn die (auf EU-Vorgaben beruhende) Einführung eines „vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens“ in Form des StaRUG (s. dazu zuletzt hier) und die für die Einpassung ins deutsche Recht gewählte Begrenzung der zwischenzeitlich doch recht ausgeuferten Insolvenzzeiträume und damit -antragspflichten durch das SanInsFoG sollte eigentlich den Fokus mehr auf die (außergerichtliche) Sanierung von Unternehmen denn auf Insolvenzabwicklung richten. Gleichwohl habe ich den Eindruck, dass sich die fachlichen Diskussionen eher auf eine weitere Effizienzsteigerung des Insolvenzrechts („tun wir die Dinge richtig?“) konzentriert, denn auf eine Effektivitätssteigerung hin zu mehr (nachhaltigen) Sanierungen.

Tun wir die richtigen Dinge?

…um mal das Zitat von Peter Drucker umzukehren. Denn, vielleicht lässt sich die Sanierungsquote in der Insolvenz gar nicht mehr über Effizienzsteigerungen erhöhen. Aktuell lässt sich dieser Gedanke statistisch leider nicht belegen, denn zwar sollen die im Rahmen des Insolvenzstatitikgesetzes auch Daten „zum Sanierungserfolg “ erhoben werden, aber zumindest in den Untersuchungen von Destatis werden diese bislang nicht abgebildet. Damit kann man bis heute lediglich auf die Daten von privaten Anbietern zurückgreifen, so. z. B. auf die seit Jahren etalierten Insolvenzstatistiken von Schultze & Braun (zuletzt hier), die leider nicht mehr aktualisierten Daten des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung (s. z. B. hier) oder aktuell auf eine Umfrage von Behrend/Möllers zu „Erfolgsfaktoren von Insolvenzen, Sanierungen und Restrukturierungen“. Wie ich schon 2011 selber konstatiert habe (hier, FN. 27), „ist [es] erschreckend wie wenig und wenig genaues statistisches Material über Insolvenzen und Sanierungen existiert; eine mit Zahlen unterlegte Diskussion ist damit für Deutschland eigentlich gar nicht möglich.“ Und daran hat sich – trotz zwischenzeitlicher Einführung des Insolvenzstatistikgesetzes bis heute wenig bis gar nichts geändert.

Aber die wenigen (aktuellen) statistischen Daten sprechen eine ziemlich eindeutige Sprache: Sanierungsversuche scheinen – ESUG hin, StaRUG her – in der Regel zu scheitern – egal ob außergerichtlich (hier und hier) oder gerichtlich (hier und näher hier). Da hat sich in den letzten zwanzig Jahren wohl nicht viel getan. Und damit könnten Schilderungen über die gescheiterten (insolvenzbedingten) Sanierungen z.B. von Kettler (s. hier) eben nicht nur die berühmt-berüchtigte „anekdotische Evidenz“ sein, sondern tatsächlich die Spitze des Eisbergs.

Dementsprechend erinnert mich der derzeitige Fokus auf insolvenznahe und -bedingte Sanierungen an den von Abraham Wald bei der Forschung zur Stärkung von Flugzeugrümpfen zum Schutz vor Abschüssen entdeckten Analysefehler (hier und vertiefend hier). Für die entsprechenden Verbesserungsvorschläge bei der Royal Airforce wurden im zweiten Weltkrieg nämlich nur solche Flugzeuge untersucht, die nicht abgestürzt waren, nicht aber diejenigen, die abgestürzt waren. Das war zwar naheliegend, da man an letztere nicht so gut rankam – sie waren ja zumeist über Feindesland abgestürzt. Zweifellos wäre aber die Untersuchung abgestürzter Flugzeuge sinnvoller gewesen, um die geeignetsten Schutzmaßnahmen festzulegen.

Übertragen auf Unternehmenssanierungen verhält sich die Sachlage natürlich genau umgekehrt – wir kennen sozusagen die Details der „abgeschossenen“ Unternehmen besser, als die der (ohne Insolvenz) „heimgehrten“ Unternehmen, um im Bild zu bleiben. Mein Eindruck ist, dass sich auf Grund der zumindest im Insolvenzbereich etwas besseren Datenlage in den letzten zwanzig ein Fokus auf „insolvenzgetriebene Sanierungen“ entwickelt hat, der von Insolvenzverwaltern natürlich gerne aufgenommen und weiterentwickelt wird. Sprich, die Diskussion kreist um eine stetige Effizienzsteigerung der (insolvenznahen / insolvenzbedingten) Sanierungen.

Bringt uns das weiter?

Wohl eher nein, denn die Chance ist groß, dass man nach zwanzig Jahren das Insolvenzregime so optimiert hat, dass weitere Maßnahmen eher wenig Erfolg bei höherem Aufwand produzieren dürften. Es steht zu befürchten, dass die Sanierungsquote in und um die Insolvenz vor der Einführung der InsO um die zehn Prozent betragen hat und nach dem SanInsFoG eher noch ein paar Prozente an das StaRUG abgeben wird. Und die Insolvenzquoten dürften auch nicht durch noch so angestrengten Reformeifer erheblich zu steigern sein (s. zu den eher frustrierenden Zahlen nur hier und hier).

Erforderlich: Fokusverschiebung hin zur „Sanierungskultur“

Dementsprechend könnte es sinnvoll sein, den Fokus weg von rechtsförmlichen Verfahren und hin zur Förderung betriebswirtschaftlicher Konzepte zu verlagern. Dieser unternehmerische Ansatz ist natürlich nicht so plastisch greifbar, wie in formelle Regeln gegossene Verfahren. Aber vielleicht könnten auf diesem Wege auch bessere Resultate mit geringerem Aufwand für alle Beteiligte erzielen.

Unabhängig davon, ob nun nach Corona eine Insolvenzwelle droht oder nicht (s. dazu hier) sollte sich der Fokus der Politik vor diesem Hintergrund daher vor weiteren Reformschritten zunächst eher auf die Verbesserung der statistischen Datenlage zu Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz fokussieren, um zu prüfen, wie es um die Sanierungserfolge in den verschiedenen Krisenstadien von Unternehmen tatsächlich bestellt ist (s. hier zur „Krisenverlaufskurve“). Dazu sollte zumindest versucht werden, außergerichtliche Sanierungsmaßnahmen ab einer gewissen Intensität statistisch zu erfassen. Ein Ansatz könnte sein, entsprechende Informationen über die Berichtspflicht im Rahmen der nunmehr eingeführten Krisenfrüherkennung nach den §§ 1, 102 StaRUG iVm. einer Ausweitung / Verbesserung der Insolvenzstatistik zu sammeln.  Die Ergebnisse derartiger Erhebungen – insbesondere auch als Zeitreihen – dürfte auch den Fokus von der Insolvenz nehmen und vielleicht zu einer Stärkung der „Sanierungskultur“ führen. Womit wir dann beim „tun“ der „richtigen Dinge“ wären.  

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