BGH: Zwangsvollstreckung impliziert nicht zwingend Zahlungsunfähigkeit

Setzt ein Gläubiger eine unbestrittene Forderung erfolgreich zwangsweise durch, kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung kannte, wenn der Gläubiger außer dieser Forderung und den von ihm zur zwangsweisen Durchsetzung der Forderung unternommenen erfolgreichen Schritten keine weiteren konkreten Tatsachen über die Zahlungsunfähigkeit oder die Vermögenslage seines Schuldners kennt (Leitsatz des Gerichts).

Mit dieser im Juni 2017 ergangenen und durch den Leitsatz prägnant zusammengefassten Entscheidung hat der BGH zumindest für durch Zwangsvollstreckung eingetriebene Forderungen seine bisher eher strenge Linie der Verschärfung des Anfechtungsrechts zu Lasten der Gläubiger zumindest weiter abgemildert.

Die Entscheidung

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte die Schuldnerin erst nach einer Vorpfändung (aufgrund eines Versäumnisurteils) ihre Verbindlichkeiten bei der beklagten Lieferantin vollständig beglichen. Der klagende Insolvenzverwalter forderte den Betrag im Wege der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO zurück. Während er in den Vorinstanzen obsiegte, unterlag er letztlich vor dem BGH, der die Gelegenheit nutzte, seine Rechtsprechung zur Anfechtung im Bereich der Anfechtung von Vollstreckungshandlungen zu erläutern.

Aus Sicht des BGH kann es auch im Rahmen einer Zwangsvollstreckung durchaus zu (anfechtbaren) Rechtshandlungen kommen:  Eine solche durch Zwangsvollstreckung erfolgte Vermögensverlagerung könne dann anfechtbar sein, wenn dazu zumindest auch eine selbstbestimmte Rechtshandlung des Schuldners beigetragen hat. Fördere der Schuldner eine Vollstreckungsmaßnahme, kann dies die Qualifizierung der Vermögensverlagerung als Rechtshandlung des Schuldners rechtfertigen. Eine durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers erlangte Zahlung könne daher der Vorsatzanfechtung unterliegen, wenn eine Schuldnerhandlung oder eine der Handlung gleichstehende Unterlassung zum Erfolg der Vollstreckungsmaßnahme beigetragen hat. Ausreichend sei eine mitwirkende Rechtshandlung des Schuldners, ohne dass sie die einzige Ursache für die Gläubigerbenachteiligung bilden muss. Im vorliegenden Fall hatte der Schuldner zunächst einen Teil der Forderung durch Zahlung befriedigt und dann – nach ausgebrachter Verpfändung – den Restbetrag gezahlt.

Den für § 133 InsO erforderlichen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nahm der BGH zwanglos an, aber er verneinte im vorliegenden Fall die erforderliche Kenntnis des vollstreckenden Gläubigers davon. Zwar genüge es für die Annahme der entsprechenden Kenntnis, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kenne, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die – drohende – Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folge. Allerdings ermögliche die zwangsweise Forderungsdurchsetzung seitens des Gläubigers keinen zwingenden Schluss auf Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung, wenn der Gläubiger außer dieser Forderung und den von ihm zur zwangsweisen Durchsetzung der Forderung unternommenen erfolgreichen Schritten keine weiteren konkreten Tatsachen über die Zahlungsunfähigkeit oder die Vermögenslage seines Schuldners kenne.

Andernfalls, so die weitere (ergebnisorientierte?) Argumentation des BGH, wäre ein Einzelgläubiger, der ohne den Versuch einer zwangsweisen Forderungsdurchsetzung im Regelfall keinen aussichtsreichen Insolvenzantrag zu stellen vermöge, wegen der Gefahr einer so erleichterten Vorsatzanfechtung letztlich gezwungen, das zögerliche Zahlungsverhalten seines Schuldners hin- zunehmen.

Bewertung

Aus Sicht der Schuldner stellt die Entscheidung kein gutes Omen dar, denn sie droht, die gerade durch Rechtsprechung und Gesetzgeber vorsichtig eingeschränkte Anfechtbarkeit von Ratenzahlungsvereinbarungen ins Leere laufen zu lassen: Zunächst hatte der BGH im Rahmen von Entscheidungen im Jahre 2015 (s. dazu hier) festgestellt, dass nicht jeder Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung den Rückschluss auf die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zulasse. Basierend auch auf diesen Entscheidungen hatte der Gesetzgeber dann die Anfechtung von Ratenzahlungsvereinbarungen im Rahmen der Reform des Insolvenzanfechtungsrechts auch eingeschränkt (s. näher dazu hier).

Die vorliegend besprochene BGH-Entscheidung führt aber im Endeffekt zu einer für den Gläubiger erforderlichen Entscheidungsrigorosität, will er erhaltene Zahlungen vor Anfechtungen schützen: Entweder muss er die Zwangsvollstreckung „durchziehen“ oder Verhandlungen über eine Ratenzahlungsvereinbarung bis zum Ende führen. Das Verlassen dieses einmal eingeschlagenen Entscheidungspfades – sprich, z.B. Ratenzahlungsvereinbarung nach Beginn von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen – dürfte dann aber wiederum zu einer vereinfachten Anfechtung gerade nach § 133 InsO führen. In beiden Fällen muss er aber – den drei berühmten Affen gleich – durchgehend vermeiden, dass der Schuldner ihm etwaige Zahlungsprobleme anzeigt. Der Schuldner dagegen läuft Gefahr, dass der Gläubiger die für ihn einfachere Vollstreckungsvariante wählt – und damit Sanierungsversuche des Schuldners obsolet werden lässt.

Einschlägige Anwaltsforen empfehlen dementsprechend – auch unter dem nachvollziehbaren Hinweis auf noch ungeklärte Einzelfragen bei der Anfechtungsfestigkeit von Ratenzahlungsvereinbarungen – eine kompromisslose Zwangsvollstreckung ohne Vorwarnung oder Rücksprachen mit dem Schuldner. Damit aber dürfte das zarte Pflänzchen der Ratenzahlungsvereinbarung – wie es der Gesetzgeber als Grundlage für eine Unternehmenssanierung auch in die Neufassung des § 133 InsO aufgenommen hat – schon wieder bedroht sein.

BGH, Urt. v. 22.06.2017 – IX ZR 111/14

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