BGH zu insolvenzabhängigen Lösungsklauseln

Zehn Jahre nach seiner letzten Entscheidung zu dieser Frage und sechs Jahre nach einer davon abweichenden Entscheidung des VII. Zivilsenates (s. zur damaligen Kommentierung hier) setzt sich der IX. Zivilsenat des BGH in einer Entscheidung aus dem Oktober 2022 erneut mit der Frage auseinander, unter welchen Bedingungen Vereinbarungen wirksam sein können, die es einer Vertragspartei erlauben, sich etwa bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder im Fall eines Insolvenzantrags der anderen Partei vom Vertrag zu lösen (sog. „insolvenzabhängige Lösungsklauseln“).

Die Entscheidung

Im entschiedenen Fall hielt der BGH eine Vertragsregelung, die eine Kündigung des Vertrages aus „wichtigem Grund“ für den Fall vorsah, dass der „Auftragnehmer zahlungsunfähig geworden [ist], über das Vermögen des Auftragnehmers ein Insolvenzverfahren [ist] oder […] die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden [ist]“ für wirksam.

Die Begründung

Der Senat arbeitet eingangs erfreulicherweise die gegensätzlichen Positionen heraus, wie sie sich nach den oben zitierten Entscheidungen des IX. und VII. Zivilsenats angesichts der Regelung des § 119 InsO gegenüberstehen. Der BGH stellt dabei insbesondere fest, dass das Gesetz keine ausreichende Grundlage dafür enthalte, dass insolvenzabhängige Lösungsklauseln stets unwirksam seien (Rz. 32). Dies gelte insbesondere für insolvenzabhängige Lösungsklauseln, die an Ereignisse vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anknüpfen und vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt werden. Der Insolvenzverwalter muss laut BGH einen Vertrag im Allgemeinen in der Lage übernehmen, in der er ihn bei Eröffnung des Verfahrens vorfindet, dabei bestehen vertraglich vereinbarte Kündigungsrechte grundsätzlich auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort. Diese vertraglichen Regelungen zu Kündigungsrechten unterliegen jedoch insolvenzrechtlich bedingt grundsätzlich Einschränkungen. So sind nach § 119 InsO Vereinbarungen unwirksam, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, insbesondere wenn das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO beeinträchtigt wird.

Grundsätzlich wirksame Regelungen

Eine Beeinträchtigung des Wahlrechts ist mit einer vertraglichen Lösungsklausel allerdings nach Ansicht des BGH dann nicht verbunden, wenn diese sich eng an eine gesetzliche Lösungsmöglichkeit anlehne. Hierzu zählen beispielsweise Lösungsklauseln, die an nicht insolvenzspezifische Umstände anknüpfen, etwa an den Verzug oder an sonstige Vertragsverletzungen, aber auch solche, die allgemein das Vorliegen von Tatsachen bestimmen, auf Grund derer die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar sei.

Grundsätzlich unwirksame Regelungen

Demgegenüber sei eine insolvenzabhängige Lösungsklausel z. B. in einem Werkvertrag, die dem Besteller aus Anlass eines Insolvenzantrags oder der Insolvenzeröffnung eine Kündigung aus wichtigem Grund ermögliche, nach § 119 InsO unwirksam, wenn bei objektiver Betrachtung eine Umgehung der zwingenden Regelung des § 103 InsO vorliegt. Dies ist der Fall, wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen. Insbesondere geht der BGH davon aus, dass insolvenzabhängige Lösungsklauseln zugunsten eines  durch §§ 320, 321 BGB geschützten Geldleistungsgläubigers regelmäßig gegen § 119 InsO verstoßen und damit rechtswidrig sind.

Ausübungssperre für den Fall der Sanierung?

Selbst wenn eine spezifische insolvenzabhängige Lösungsklausel nach den so vom BGH entwickelten Kriterien nicht generell als unwirksam anzusehen, so kann die Ausübung der daraus herzuleitenden Lösungsrechte nach Ansicht des BGH aber gegen Treu und Glauben verstoßen (s. Rz. 55). So werde Im Hinblick auf § 44 StaRUG zu erwägen sein, ob im Falle der Eigenverwaltung (§§ 270 ff InsO) die Interessen des Gläubigers an einer Lösungsklausel zurücktreten.

Fazit: Durch seine detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Vertragstypen und der darauf bezogenen Klärung der grundsätzlichen Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln entwickelt der BGH einen praxistauglichen Katalog wirksamer Lösungsklauseln. Angesichts des bisherigen Meinungsstandes überrascht zudem die Aufrechterhaltung der Lösungsklausel im konkreten Fall – ist sie doch sehr insolvenzbezogen. Die darüber hinausgehende Differenzierung bezüglich der Wirksamkeit und der Ausübung einer Lösungsklausel können Unternehmenssanierungen erleichtern. Damit einher geht allerdings ein erhöhter Prüfungsbedarf im Einzelfall. Insgesamt reiht sich diese Urteil gut in die Zeitenwende des BGH ein, indem es die Gläubigerrechte zu Gunsten der zum Teil ausufernden Ansichten der Insolvenzverwalter zur Bindung an Verträge selbst in der Insolvenz zurecht stutzt.

BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 213/21

Schreibe einen Kommentar