Unternehmensinsolvenzen im Mai 2023 – Atempause?

Während im Vergleich zu den Vormonaten die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren (die auch Unternehmensinsolvenzen beinhalten) im April 2023 nach Angaben von Destatis um 14,1% zurückging, stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im selben Monat um weitere 20,3% (hier, jeweils im Vorjahresvergleich). Die Zahlen des IWH-Insolvenztrend für den April 2023 (bezüglich eröffneter Verfahren hier) deuten ebenfalls auf eine Stagnation der Zahlen in den vergangenen Monaten hin – wobei die Größe der Verfahren, sprich Forderungsvolumen und Mitarbeiterzahl, gegenüber den Vorjahren deutlich zulegte.

Aktuelle Fälle

Wie üblich liefern das Finance Magazin (hier) und Juve (hier) einen guten Überblick über das aktuelle Insolvenzgeschehen. Aus den aktuellen Fällen greife ich mal das „Chapter 22“ von Gerry Weber heraus (hier), denn auch hier wurde wieder dasselbe „Gespann“ von Sach-/Eigenverwalter eingesetzt, wie bei der Insolvenz vor drei Jahren. Mit der Dorea-Gruppe (hier) und der Novent-Unternehmensgruppe (hier) haben sich gleich die nächsten Pflegeheimbetreiber in die Insolvenz verabschiedet. Derweil geraten nach den Krankenhäusern scheinbar auch MVZ in die Krise (hier). Bezeichnend dabei ist, dass die MVZ mittlerweile scheinbar schon so im Visier von Finanzinvestoren sind, dass die Bundesärztekammer (schon?) eine Begrenzung ihres Einflusses fordert (hier). Mit dem Versanddienstleister Klingel hat es einen weiteren Einzelhändler ereilt (hier). Aber auch der Dauerpatient Automotive kommt nicht zur Ruhe, auch wenn es keine aktuellen größeren Fälle zu vermelden gilt. Denn der „Exit“ aus der Sanierung bei Benteler (Refinanzierung, hier) und der Rüster-Gruppe (Verkauf, hier) dürfte mehr als nur Fingerzeige für die weitere Entwicklung in diesem Bereich bereithalten.

Neben dem „Exit“ von Unternehmen aus der Insolvenz dürften die Ausgänge der Haftungs-Prozesse in Sachen Steinhoff (hier) und Solarworld (hier und hier) für die jeweiligen Manager mehr als nur Fingerzeige in petto haben.

Blick ins Ausland

Zwischen dem IV. Quartal 2022 und dem I. Quartal 2023 sind die Unternehmensinsolvenzen in England und Wales um 4% gesunken, aber im Vorjahresvergleich ist die Zahl im ersten Quartal (noch) um über 18% gestiegen (hier). Bereits im April allerdings fiel die Zahl auch im Vorjahresvergleich, und dann gleich um 15% (hier). Derweil meldet Österreich einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen im ersten Quartal 2023 um über 25% im Vorjahresvergleich (hier), womit sich der Anstieg aus dem Vorjahr anscheinend ungebremst fortsetzt. In der Schweiz schnellte die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im selben Zeitraum gar um 36% nach oben (hier). Während die Insolvenzwelle in England somit möglicherweise ihren Zenit überschritten hat, dürfte sie nicht nur in der Schweiz und Österreich noch weiter schwappen (s. auch den Überblick über Europa bei Creditreform hier und die Kommentierung hier).

Prognosen anderer

Beängstigend ist, dass über 75% der Teilnehmer an der aktuellen Umfrage von Atreus (hier, Folie 19) De-Industrialisierungstendenzen in Deutschland erkennen. Wenn die Industrie weg ist, brauchen wir uns keine Gedanken mehr machen, was nun genau der Unterschied zwischen „Transformation“ und „Turnaround“ ist und welche „tollen“ Instrumente zur Sanierung man in der Insolvenz nutzen kann. Angesichts der Polykrise eigentlich nicht verwunderlich, aber ebenfalls beunruhigend ist, dass 61% der befragten Manager angeben, dass die Widerstandsfähigkeit deutscher Unternehmen in den letzten Jahren abgenommen hat (Folie 20). Und auch die Bewertung von Atreus: „Im dritten, spätestens vierten Quartal rechnen wir mit einer signifikanten Zunahme der Insolvenzen, wobei diese Unternehmen dann meist einfach verschwinden werden„, lässt einen nicht gerade ruhiger schlafen.

Fazit: Zwar scheint die Zahl der Insolvenzen deutscher Unternehmen aktuell zumindest zu stagnieren, aber möglicherweise ist das nur die Atempause vor dem nächsten Anstieg. Darauf zumindest deuten die Erhebungen von Atreus (oben), aber auch die aktuellen Recherchen von Creditreform zur Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand (hier) hin. Das „Ende der Fahnenstange“ (so der Kommentar hier) dürfte zumindest in Bezug auf die Unternehmensinsolvenzen bei Weitem noch nicht erreicht sein. Sollte das Wirtschaftswachstum in Deutschland nicht doch noch anziehen, dürfte angesichts der dann einsetzenden Effekte der Zinswende auf die Unternehmensfinanzierung tatsächlich von einem erneuten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen spätestens im dritten Quartal auszugehen sein.

Spätestens dann wird auch der Umgang mit der jeweiligen Unternehmenskrise ins Blickfeld der Medien geraten. Und da gibt es einige zumindest diskussionswürdige Entwicklungen: Nachdem bereits bei der Insolvenz von Galeria Kaufhof ein schon im vorherigen Verfahren ein „eingespieltes“ Team beim „Chapter 22“ zum Einsatz kam, erscheint den Beteiligten bei der erneuten Pleite von Gerry Weber die Einsetzung der vorherigen Garde als beste Lösung. Selbst wenn das objektiv zutreffen sollte, hat diese sich jetzt abzeichnende Übung ein „Geschmäckle“. Die Verwalterzunft wird sich nicht darüber wundern dürfen, wenn sich angesichts von Kommentaren, wie der im Handelsblatt (hier, bei mir hier kommentiert) ein hyper-aktiver Gesetzgeber entschließt, die Möglichkeiten, die das Sanierungs- und Insolvenzrecht nunmehr bietet, erneut einzuschränken, weil nicht nur das Management scheiternder Firmen, sondern auch die Verwalter vorheriger Verfahren Gelegenheit erhalten, ihre vorherigen Entscheidungen scheinbar risikolos zu korrigieren.

Gegen die wirtschaftlichen Probleme im Gesundheits- und Pflegebereich nehmen sich die vorgenannten „Chapter 22“-Verfahren und ihre finanziellen Konsequenzen für die Volkswirtschaft allerdings geradezu wie die berühmt-berüchtigten „Peanuts“ aus. Denn nach Krankenhäusern (hier) und Pflegeheimen (hier) sind zwischenzeitlich auch Arztpraxen im Zuge der Privatisierung des Gesundheitswesens mehr und mehr Ziel von Finanzinvestoren geworden. Die Rückabwicklung dieser Auswüchse von „Reagonomics“ und „Thatcherism“ dürften den Steuerzahler erneut etliche Milliarden kosten (s. zur Aufarbeitung der seinerzeitigen Berliner „Beispiele“ von Privatisierungen hier). Dabei dürfte auch relativ schnell die Frage aufkommen, ob Insolvenzverfahren, die dem Marktaustritt lebensunfähiger Unternehmen im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft dienen sollen, das probate Mittel sind, um mit einer Strukturkrise im Bereich der Daseinsvorsorge umzugehen. Und da haben wir noch gar nicht die potentiellen Probleme der Immobilienwirtschaft (als dem Aspekt des „Wohnens“ in der Daseinsvorsorge) diskutiert – deren kommende Krise auf Grund der steigenden Zinsen und der erwarteten Energiegesetze schon als Zeichen an der Wand stehen. 

Schreibe einen Kommentar