Koalitionsvertrag zum Unternehmensstrafrecht

Nachdem es zuletzt ziemlich ruhig um das zeitweise heftig diskutierte sog. „Unternehmensstrafrecht“ geworden war, nimmt der Koalitionsvertrag der frisch vereidigten Bundesregierung den Faden wieder auf und fasst eine umfassende Neuregelung des Sanktionsrechts für Unternehmen ins Auge.

Das deutsche Strafrecht kennt bisher keine Strafbarkeit von Unternehmen. Dementsprechend liegt die bedrohlichste Sanktion für Unternehmen im Bereich des OWiG. Denn hier können über das Zusammenspiel der §§ 30, 130 OWiG empfindliche Geldbußen zusammenkommen, wie die Verhängung einer Geldbuße über Euro 395 Millionen gegen den die Siemens AG aus dem Jahre 2008 (hier) beispielhaft zeigt. Auf Grund von Skandalen in der Wirtschaft (s. zuletzt etwa Airbus, hier) wird in der Politik das Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts aber als unzureichend und nicht mehr zeitgemäß empfunden.

Die von der neuen Bundesregierung deswegen nunmehr beabsichtigten Neuregelungen (s. Koalitionsvertrag, S. 126) beruhen auf verschiedenen Initiativen aus den vergangenen Jahren, so etwa dem Entwurf zu einem Verbandsstrafgesetzbuch des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem September 2013 (s. dazu meine Kommentierung hier und hier), dem Entwurf eines von der Forschungsgruppe Verbandstrafrecht an der Universität Köln im Dezember 2017 vorgestellten Entwurf eines „Verbandssanktionengesetzes“, einem Vorschlag des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen und entsprechenden Vorarbeiten des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) aus der letzten Legislaturperiode.

Der Koalitionsvertrag enthält nun konkrete Vorgaben für die zukünftigen Arbeiten des BMJ am „Verbandsstrafrecht“: So soll das im OWi-Recht geltende Opportunitätsprinzip, sprich die Verfolgung ist in das Ermessen der Behörde gestellt, vom Legalitätsprinzip, also dem dem Strafgesetzbuch innewohnenden Verfolgungszwang abgelöst werden. Weiterhin soll der Rahmen für Geldsanktionen gegenüber dem bisher im OWiG vorgesehenen empfindlich erhöht werden – nämlich für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als Euro 100 Mio. auf bis zu zehn Prozent des Umsatzes. Das kann leicht in die Milliarden gehen – und die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens gefährden. Ferner sollen „die Sanktionen auf geeignetem Weg öffentlich bekannt gemacht werden.“ („naming and shaming“).

Schließlich will die neue Regierung „gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch „Internal Investigations“ und zur anschließenden Offenlegung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse setzen“ und „gesetzliche Vorgaben für „Internal Investigations“ [machen], insbesondere mit Blick auf beschlagnahmte Unterlagen und Durchsuchungsmöglichkeiten, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.“ Gerade letzteres dürfte angesichts der erwarteten Entscheidung des BGH zur staatsanwaltlichen Durchsuchung von Räumen einer Anwaltskanzlei im Zuge des VW-Skandals (s. hier) auch dringend erforderlich sein.

Auch wenn es gerade dem Zeitgeist zu entsprechen scheint, „Wirtschaftsbashing“ zu betreiben, so spricht aus rechtlicher Sicht doch vieles gegen ein Unternehmensstrafrecht. Einzig sei hier das „Schuldprinzip“ genannt, wonach niemand ohne Schuld verurteilt werden darf. Da aber „Schuld“ auch immer ein willentliches Element voraussetzt – den ein Unternehmen eben nicht haben kann – würde ein „Unternehmensstrafrecht“ einen Fremdkörper im deutschen Recht darstellen. Auch besteht das Risiko, dass sich an sich strafbare Manager dann in irgendeiner Weise wieder „hinter“ der Strafbarkeit des Unternehmens verstecken könnten. Gerade wegen dieses Zeitgeistes ist aber davon auszugehen, dass die Politik diese und andere Bedenken Beiseite schieben wird und sich Unternehmen auf die Verabschiedung eines Verbandsstrafrechts in dieser Legislaturperiode einstellen müssen. Zur Vermeidung künftiger Strafbarkeit oder zumindest zur Milderung der Strafbarkeit sollten die Unternehmen deswegen ihre Compliance-Maßnahmen ständig verbessern (s. hierzu die entsprechende Kommentierung zu BGH, Urt. v. 9.05.2017 – 1 StR 265/16).

 

Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018 für die 19. Legislaturperiode

Universität Köln, „Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes“

Bundesverband der Unternehmensjuristen, „Gesetzgebungsvorschlag für eine Änderung der §§ 30, 130 OWiG“

Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen, Bundesrat, Tischvorlage, „Entwurf eines Gesetzes zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“

 

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